1991: Die Null-Nummer – Die Wiedergeburt des Geisterzuges
Die Geisterzüge der letzten Jahre hätte es wohl nicht gegeben, wenn nicht im Winter 1990/91 nach dem Einmarsch der Iraker in den Erdölstaat Kuwait die US-Regierung die Weltwirtschaft in Gefahr gesehen hätte und daraufhin den Irak mit einem Krieg überzog, der durch die US-Zensur auf den Fernsehern der Welt als Videospiel erschien. Reale Leichen und Verstümmelte gab es im TV so gut wie nicht. In Deutschland hatte die Polizei nicht genug Mitarbeiter, um den wg. des Krieges verstärkten Objektschutz und gleichzeitig die rheinischen Karnevalsumzüge abzusichern. Daher wurde der Straßenkarneval verboten. Die offizielle Begründung „in Kriegszeiten dürfe man nicht so ausgelassen feiern“ entlarvte sich schnell als vorgeschoben: denn während des Krieges in Jugoslawien gab es diese Pietät kaum. In New Orleans feierten die Amerikaner während des Krieges wie in anderen Jahren auch. Es zeigte sich, dass Antimilitarismus und Skepsis gegen Obrigkeiten in Köln durchaus mit dem Karneval kompatibel sind.
Das Kölner Friedensplenum rief auf Vorschlag von Erich Hermans zu einer Anti-Golfkriegs-Demo am Rosenmontag auf dem üblichen Rosenmontagszugweg auf. Die Anhänger des offiziellen Karnevals wollten „den Chaoten“ die Strecke nicht überlassen und gingen mit. Diese Mischung wurde einer der schönsten Umzüge der Kölner Geschichte. Es war wohl das einzige Mal in der gesamten Geschichte, dass die gesamte Schildergasse gemeinsam „Schneeflöckchen, weiß Röckchen … .“ sang. Über diesen Zug wurden mehrere Bücher geschrieben, weshalb hier nicht weiter in die Details gegangen wird.
Die Wiedergeburt des Geisterzuges
Nachdem sie die Stimmung dieses Anti-Golfkriegs-Rosenmontags miterlebt hatten, fragten sich etliche Leute: wie geht es weiter mit dem Fastelovend in Kölle? Bleibt er weiter in den Händen der offiziellen Karnevalisten? Gibt es als Alternative nur Stunksitzung-Gucken, Zug vorm Zug, Nubbelverbrennungen und ein paar gute Ideen in Schull-un-Veedels-Zöch und den Vorortzügen?
Nach einem Presseaufruf von Erich Hermans fanden sich im Herbst 1991 Leute, die den Geisterzug, eine neue uralte Form des Karnevals wieder aufleben lassen und pflegen wollten.
Ein ganz kurzer Ausflug in die Geschichte: Der ganze Karneval ist ein Jahrtausende altes Fest, mit dem die hinter dem Herd überwinternden Geister der Ahnen aus dem Haus gejagt wurden, sie sollten die Erde wieder fruchtbar und die Sonne wieder wärmer machen. Sie wurden mit viel Lärm vertrieben, zu der ihnen gemäßen Tageszeit: im Dunkeln. Im Mittelalter waren Knechte, Mägde, Gesellen vom 11.11. bis zum Frühling arbeitslos und mussten betteln. Soziale Ausschreitungen kamen schon mal vor. Die bürgerliche Karnevals-Reform 1823 machte das wilde nächtliche Fest kontrollierbar, es gab nun Umzüge tagsüber. Dem einfachen Volk wurde ein Geisterzug im Dunkeln samstagabends zugestanden, den man nach der Unterdrückung der 1848er Revolution zum Rekruteneinzug der Funken umfunktionierte. Die Gruppe entschied sich, die Geisterzüge unter folgende Prämissen zu stellen:
– Der Zug soll sowohl karnevalistisch als auch politisch sein: jedeR kann diesen Zug benutzen als Demonstration für oder gegen das, was nach seinem/ihrem Erachten gefördert/bekämpft werden muß. Und wer „einfach nur“ feiern will, wird nicht ausgeschlossen.
– JedeR darf mitgehen, notfalls auch Unmaskierte. Zuschauer werden geduldet, Mitgehende werden lieber gesehen. Als besonderes Bonbon für die etwas Aktiveren: et jit kei Kamelle, och kei Strüßjer. Hühstens ens e Bützje.
– Der Zugweg ist jedes Jahr ein anderer. Es soll nicht wie bei die anderen Zügen immer die selbe Strecke langgelatscht werden, sondern der Geisterzug wird auch als Stadtführung betrachtet zu historisch bedeutsamen Orten und Gebäuden und durch Straßen, Gassen, Viertel, die nicht jedeR in und um Köln Wohnenden hinreichend bekannt sind.
– Soweit möglich, besteht ein Bezug zwischen dem jeweiligen Motto und dem Weg.
– Trotz PC-Benutzung und Autofahren einiger Organisatoren ist der Geisterzug technikfeindlich. Im Zug sind Casettenmusik und KFZ unerwünscht. Musikmachen kann man auch ohne Strom. Die vielen Sambagruppen und Kochpottdeckelspieler beweisen es. Angeblich soll es auch Leute geben, die noch Texte von Karnevals- und Polit-Liedern singen können.
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